Morgens halb 10 in Schweden: „Maria? Ich fahre jetzt weiter!“ wurde ich leise von rechts angesprochen. Ich öffnete langsam meine Augen, denn ausgeschlafen war ich noch nicht wirklich, glaube ich zumindest.
„Hast du diese Wühlmäuse heute Nacht gehört?“ fragte Toni weiter. „Hmmm, ich hab gar nichts gehört, ich habe tief und fest geschlafen!“ blinzelte ich aus meiner Hängematte hervor. Toni wünschte mir noch viel Glück auf meiner Reise und verabschiedete sich dann. Bevor er Tschüss gesagt hatte, hatte er seine sieben Sachen zusammengepackt und ich hatte rein gar nichts davon mitbekommen. Das spricht zumindest für einen sehr tiefen Schlaf. Erst ein paar Minuten später, nachdem er gegangen war, öffnete ich meine Augen langsam um mit dem schönsten Ausblick geweckt zu werden.
Das Glitzern der Sonne durch die Blätter war der erste Blick, den ich auf den neuen Tag erhaschte. Nachdem wir gestern Nacht im Dunklen unseren Schlafplatz gesucht hatten, sah ich zum ersten Mal, wie es um mich herum wirklich aussah. Eins nahm ich mir deshalb sofort vor: Meinen Schlafplatz werde ich immer im Hellen aufsuchen. Kleiner Spoiler, das ist mir nicht immer gelungen 😀
Ich blieb liegen und ließ die Nacht Revue passieren. Geschlafen habe ich wie ein Stein. Lag das an der langen anstrengenden Anreise? An der aufgestauten Müdigkeit der letzten Monate? Oder daran, dass ich diese Nacht noch jemanden in meiner Nähe wusste und deshalb nicht komplett allein war? Oder eventuell an der sehr komfortablen Hängematte, die ich nun das erste Mal benutzte?
Die Hängematte hatte ich mir erst ein paar Tage vor Abreise zugelegt und keinen Probeaufbau durchführen können. Dafür war einfach keine Zeit! Aber es hatte alles bestens funktioniert und ich fragte mich, warum ich nicht schon viel früher auf die Idee gekommen bin, mir eine Hängematte zu kaufen. Ich hatte genügend Abstand zum Boden, im Falle von Regen hätte ich sogar ein Tarp dabei, das ich über mich hätte spannen können und durch das Netz blieb ich auch von Moskitos verschont. Die Hängematte hatte also ein wundervolles erstes Debüt hingelegt und ich startete in den neuen Tag in Schweden.
Ich fuhr durch den Park, den wir in der Nacht eine Stunde lang nach einem geeigneten Platz abgesucht hatten. Auch wenn der Park von dem ein oder anderen Jogger oder Gassi Gänger besucht wurde, war es sehr ruhig dort. Und dann packte mich das Gefühl – Abenteuerlust !!!
Voller Motivation überlegte ich mir eine erste Route in Schweden, die ich übrigens am Tag mehrfach umwarf. Wie schön, dass ich einfach spontan entscheiden konnte, was ich machen wollte. Ich musste es mit niemandem abklären, musste niemandem Bescheid geben. Ich bin einfach drauflosgefahren und konnte meinem Gefühl folgen. Ich entschied mich zunächst nach Malmö zu fahren. Die süßesten schwedischen Häuschen habe ich tatsächlich auf der Strecke von Trelleborg nach Malmö gesehen. Immer hätte ich stehen bleiben können, sie fotografieren wollen oder mir einfach ausdenken können, wer wohl da lebt, welche Feste in den süßen Gärten gefeiert werden… Ein Haus war schöner als das andere aber alle so viel kleiner als in Deutschland.
Eines war definitiv anders auf dieser Fahrradtour als bei den bisherigen, die ich gemacht habe. Ich brauchte viel mehr Pausen. Das lag ohne Frage am Gewicht des Gepäcks. Vor allem der Rucksack erforderte mehr Kraft. Auf den anderen Touren bin ich nie mit einem Rucksack, Schlafsack und Isomatte unterwegs gewesen. Aber für das Schlafen in der schönen Natur Schwedens musste ich mich ja anders ausstatten.
Malmö
In Malmö blieb ich eine Stunde auf einer Bank liegen und überlegte, wie es denn nun weiter gehen sollte. Einen Abstecher nach Lund machen? Die Stadt, die ich wirklich IMMER besucht habe, wenn ich zuvor in Schweden war? Oder verwerfe ich meine Überlegung und fahre einfach am Meer entlang?
Hmmm…das Meer. Es hatte mir so einen Frieden am Vortag geschenkt, dass ich mich entschloss, einfach am Meer entlang zu fahren. Also nicht nach Lund, sondern dem Wasser zu folgen. Später erfuhr ich, dass man diesen Weg den Kattegatweg nennt. Doch zunächst musste ich meinen Wasservorrat wieder auffüllen.
In Malmö saß ich irgendwo im nirgendwo an der Straße und machte mal wieder Pause, als mich ein älterer Mann ansprach und fragte, ob ich Hilfe brauchte. Ich hatte grade meine Schuhe ausgezogen, weil sie links ziemlich drückten (Memo: Nicht mit neuen Schuhen so einen Trip starten). Ich sagte, dass ich nur eine Pause mache und gleich irgendwo Wasser holen würde. Er war so freundlich und sagte mir, wo ich den nächsten Supermarkt finden könnte, fuhr weg und drehte dann nochmal um.
Sein Name war Ingmar und er war der liebste alte Schwede, der mir auf der gesamten Reise begegnet war. Er begleitete mich zum Supermarkt, passte auf meine Sachen auf, obwohl er einen Termin hatte. Seine Herzlichkeit strahlte förmlich aus seinen Augen und mich rührte seine Hilfsbereitschaft. Er sagte, in Malmö sollte man niemals sein Gepäck unbeaufsichtigt lassen. Ich hatte den besten Aufpasser, den ich mir vorstellen hätte können. Ich fuhr weiter. Malmö ist eine sehr große Stadt mit vielen sozialen Brennpunkten. Ich habe auf meiner Reise gehört, dass es sogar Gebiete geben soll, in die die Polizei sich gar nicht reintraut.
Am Meer entlang
Ich fand den perfekten Platz am Meer, um abermals eine Stunde zu verweilen. Ich saß einfach nur da, stellte mir vor, wie ich die Hängematte zwischen den Bäumen aufspannte und ein Buch las. Aber leider befanden sich die zwei Bäume direkt an einem Fußgängerweg, sodass ich nur den Ausblick genoss und weiterfuhr.
Der Hunger machte sich irgendwann bemerkbar und ich hielt bei einem Geschäft an. Dort saßen zwei Fahrradfahrer, genauso schwer bepackt wie ich am Eingang und sprachen miteinander. Es waren Deutsche. Ich fragte sie, ob sie einen Moment auf mein Fahrrad samt Gepäck aufpassen würden. “ Wir haben meistens alles offenstehen, nicht mal das Fahrrad abgeschlossen, bei uns ist noch nie was weggekommen!“ entgegneten sie.
Ein bisschen schämte ich mich für meinen Kontrollwahn, aber den habe ich tatsächlich immer. Ich lasse ungern meine Sachen aus den Augen und es fällt mir schwer anderen Dinge anzuvertrauen, die in meiner Verantwortung liegen. Vor allem nach den Warnungen von Ingmar.
„Ja, in Malmö, da ist es definitiv was anderes, das ist ne‘ Großstadt, aber hier auf dem Land, da juckt das keinen!“ sagte der Mann, der sich 3 Monate Auszeit von seinem Job genommen hatte. Seine Freundin, eine Lehrerin, hatte ebenfalls eine mehrwöchige Auszeit genommen, um miteinander zu reisen. Sie waren schon lange in Schweden unterwegs gewesen und gaben mit Tipps, wo es schön war und was sich unterwegs lohnte. Sie fuhren quasi den Weg, den ich mir kurz zuvor vorgenommen hatte, nur halt aus der anderen Richtung.
Ich fügte gedanklich zwei Empfehlungen zu meinem Vorhaben dazu und begann mich dann zeitig auf die Suche nach einem Schlafplatz zu machen. Ich war knapp 60 km gefahren und hatte mir ja vorgenommen nicht mehr im Dunkeln mein Schlafzimmer aufbauen. Und was soll ich sagen? Ich fand den allerperfektesten Hängemattenplatz!
Rückblickend, der für mich schönste Ort. Ich baute mein Bett zwischen den Bäumen auf und kuschelte mich in den Schlafsack. Es dauerte keine halbe Stunde nachdem ich mir den Bauch mit allerlei schwedischen Köstlichkeiten vollgeschlagen hatte, da schlief ich tief und fest, dabei war es erst 19 Uhr! Was war ich froh, die nervigen Schuhe endlich loszuwerden! Ich packte mich dick ein, denn ein kühler Wind durchfuhr die Äste, die mich ansonsten wie ein Zelt schützten.
Nach zwei Stunden wurde ich wach. Auf einmal war es so heiß, dass ich mir erstmal alle Kleider vom Leib riss und aus dem Schlafsack schlüpfte. Es war so ruhig. Der Abend dämmerte und die Sterne begannen zu leuchten. Drei Stunden lag ich einfach in der Hängematte und schaute in den Himmel. Ich war glückselig. Genauso habe ich mir das vorgestellt. Die Natur und ich als stille und ehrfürchtige Betrachterin, sanft schaukelnd in der Hängematte. Ich schlief gegen Mitternacht wieder ein und schlief…und schlief…wieder, wie ein Stein. Ich hatte keine Angst.
Sollte jemand kommen, dann würde ich ihn hören, denn das Gras und die Äste, die überall lagen, gaben immer ein lautes Rascheln von sich. Meine Hängematte hing hoch genug, dass Hasen drunter vorbeilaufen könnten und mich keine Wühlmäuse störten. Das Moskitonetz schützte mich vor ungebetenen Stechmücken und das Pfefferspray war zum Greifen nah. Alles war wundervoll. Es war eine Parallelwelt zu dem städtischen Treiben in Malmö. Hier war alles friedvoll. Da hätte ich noch keine Sekunde daran gedacht, was mir noch so passieren könnte….Aber das sollte ich am nächsten Morgen knallhart erfahren.
Wenn du wissen möchtest, wie es weiter geht, dann lies dir den Beitrag zu Tag 2 hier durch.